– Warum man sein Facebookkonto löschen sollte –
Stop liking, start thinking!
Gesellschaftlicher Fortschritt lässt sich nur erreichen, wenn wir integrative Strukturen schaffen und viele Leute von der Idee eines besseren Lebens im Hier und Jetzt überzeugen können. Integrative Strukturen zu schaffen, heißt dabei in kommunikative Verbindung zu verschiedenen Menschen zu treten und sie von unserer Sache zu überzeugen. Es bedeutet auch, dass wir Diskussionen nicht aus dem Weg gehen sollten und ansprechbar sein müssen. Facebook und andere Soziale Netze gelten dabei zur Zeit bei vielen Leuten als unerlässliches Mittel. Via Facebook kann man z.B. Inhalte verbreiten, Termine koordinieren, Veranstaltungen planen oder mit Leuten in Kontakt treten, von denen man keine anderen Kontaktdaten hat. Je offenherziger man dabei mit seinen eigenen Daten umgeht und zum Beispiel seine Schule, seinen Arbeitsplatz oder seine Lieblingsband einträgt, desto mehr Gleichgesinnte wird man finden. Teilweise bieten Soziale Netzwerke und insbesondere Facebook hier Möglichkeiten, die bis jetzt noch kein anderes Medium erreicht hat. Dennoch lügt man sich teilweise auch gehörig in die eigene Tasche, denn zu vielen Aktionen lassen auch mit Facebook – trotz Zusage – nicht mehr Leute bewegen, wie ohne. Ein Like auf einer Facebook-Seite oder unter einem Kommentar ändert nämlich erst einmal überhaupt nichts. Er drückt vermeintlich oder tatsächlich Zustimmung aus und sorgt damit für das gute Gefühl mit seiner Analyse der herrschenden Verhältnisse nicht völlig bedeutungslos zu sein – immerhin gab es 10, 100 oder gar 1000 Likes und etliche Zusagen. Leider kommen dann zur Aktion doch nur die üblichen Verdächtigen. Mal ganz abgesehen davon, dass die Ausgrenzungsmechanismen zwischen Social Network-Nutzern und dem Rest der Welt nahezu immer vollends übersehen werden. Wer jetzt auf die Idee kommt zu sagen, dass auch nicht jeder eine E-Mail-Adresse hat, der hat grundsätzlich Recht. Er wird jedoch auch zugeben müssen, dass man bei einer E-Mail-Adresse zumindest auswählen kann, bei welchem Anbieter man sich eine zulegt oder, ob man das Ganze nicht gleich selber macht.
Gefahren sind allgegenwärtig
Menschen, die einen gesellschaftlichen Fortschritt erreichen wollen, sind bis zu dessen Umsetzung, von Repression bedroht. Da sind auf der einen Seite staatliche Stellen von von Polizei bis zu Geheimdiensten, die sich insbesondere für unsere Strukturen und Verbindungen organisieren. Nicht umsonst gibt es deshalb den Schnüffelparagrafen 129a StGB oder Spionageprogramme wie PRISM, XKeyscore oder BLARNEY. Nicht umsonst wird die Internetrecherchefähigkeit der deutschen Behörden aktuell massiv ausgebaut – Stichwort: Vorratsdaten. Die großen kommerziellen Netzwerke wehren sich dagegen kaum, da sie auf eine kooperative Zusammenarbeit mit dem Staat angewiesen sind. Erst, wenn der Geheimnisverrat den kommerziellen Gewinn bedroht, weil Nutzer abspringen, wird halbherzig gehandelt, d.h. man bleibt hinter den technischen Möglichkeiten zurück. Oft sind es auch wirtschaftliche Gründe, die dafür sprechen seinen Suchalgorithmus oder genaue Funktionsweisen von Facebook nicht zu veröffentlichen – Stichwort: Geschäftsgeheimnis. Das Ausmaß staatlicher Repression mit Hilfe von sozialen Netzwerken lässt sich auch deshalb kaum einschätzen. Neben der Bedrohung durch staatliche Organe, ist man in sozialen Netzwerken aber auch durch andere Benutzer bedroht, ob es nun Nazis oder andere unangenehme Zeitgenossen sind. Das #Listengate rund um einen Berliner Piraten ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Nicht zuletzt sollte man sich auch bewusst sein, dass man sein Social Network mit dem Rest der Deutschen teilt und die Betreiber gegenüber Ausgrenzung und Diskriminierung oftmals tatenlos bleiben.
In diesem Rahmen erscheint es sinnvoll darauf hinzuweisen, dass private Social-Network-Accounts wohl mindestens genauso gefährlich sind wie (politische) Auftritte. Niemand weiß welche Facebook-Info der Staat gerade für die Komplettierung seiner Repressionspläne braucht und niemand kann einschätzen, welches Twitter-Konto der Anti-Antifa den entscheidenden Hinweis liefert. Neue technische Möglichkeiten, wie Werkzeuge zur Sprachanalyse treffen beide Accounts ohnehin gleichermaßen.
Facebook anonym nutzen?
Bei dieser Frage beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn es ist zwar möglich einen Facebook-Account nur über das Tor-Netz aufzurufen, in seinen Account keinerlei persönliche Informationen einzutragen und keine Freunde zu adden, doch dann funktioniert das Facebook-Prinzip nicht mehr. Konkret nutzt man das mangelnde Bewusstsein seiner Mitnutzer aus, die die Facebook mit ihren Daten füttern und dann Inhalte streuen.
What solution?
Einen perfekten Ersatz für Facebook gibt es (noch) nicht. Allerdings sollte man sich dennoch von den großen Sozialen Netzwerken verabschieden und eigene Netzwerke und Kommunikationswege schaffen. Wenn wir dabei auf freie Software (z.B. elgg) und gute Verschlüsselung (z.B. PGP) setzen, legen wir die Hürde für technische Angriffe hoch. Wenn wir uns politisch gegen Vorratsdatenspeicherung und Überwachung wehren, können wir unkontrollierbar(er) werden. Das bietet uns neben höherer Sicherheit auch weitere Vorteile:
- Bei einer eigenen/vertrauenswürdigen Infrastruktur werden unsere Mobiseiten und Benutzerkonten nicht gelöscht.
- Wir können entscheiden welche Informationen ein Dienst verlangt (z.B. Registrierung ohne E-Mail-Adresse, keine Logs). — Was nicht online ist, kann nicht gegen uns verwendet werden.
- Geschaffene Angebote können wir selbstständig erweitern oder auch wieder löschen.
- Wir haben das digitale Hausrecht und können z.B. Nazis raus werfen.
Die Möglichkeiten sind vorhanden. Wenn wir anfangen uns kritisch mit digitaler Infrastruktur und Technik auseinanderzusetzen, uns weiterbilden und uns nicht verhalten wie Lemminge, werden unsere Projekte in Zukunft den Ton angeben.
„Facebook Du ermöglicht es dir, mit den Menschen in deinem Leben in Verbindung zu treten und Inhalte mit diesen zu teilen.“
Löscht (endlich) eure Social Network-Accounts, machen wir uns Gedanken um Alternativen!
Weitere Literatur:
- Rote Hilfe Zeitung 04/14
- Rote Hilfe Zeitung 01/15 (noch nicht online)